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Strassenkinder in Antananarivo erlernen Tischlerhandwerk

Ein Praktikumsbericht von Arne Kübitz
Einleitung · 1. Monat · 2. Monat · 3. Monat · Fazit · 1. Exkursion · 2. Exkursion · Fotos und Links · Zeitungsbericht
Zusammenfassung der ersten vier Wochen meines Aufenthaltes in Tana vom 29.9.2000
1. Arbeitswelt in Madagaskar

Wie ich schon im voraus wußte, läuft hier in Madagaskar alles nach dem Grundsatz "mora mora", was so viel heißt, wie "immer mit der Ruhe".
Bisher habe ich kaum etwas gesehen, was dem widerspricht. Was nicht heute erledigt wird, das wird dann eben morgen gemacht. Und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen. So kann es sich unter Umständen schon über Wochen hinziehen. Es läuft wirklich alles gemächlich ab, auch wenn man hier in Tana auf der Straße viel Hektik und reges Treiben beobachten kann.
Im Grunde ist hier aus deutscher Sicht völlig "verkehrte Welt" angesagt. Alles wird nicht so genau genommen, ob es nun der Termin ist, den man hat, oder die Arbeit, die man macht. Es wird nicht so eng gesehen.

2. Struktur ONG Manda

Die ONG Manda ist eine eigenständige Organisation, vergleichbar mit einem Verein in Deutschland. Sie finanziert sich durch Spenden, die hauptsächlich aus Deutschland kommen.
Das Personal besteht aus ca. 15 Angestellten, die von einer Direktorin geleitet werden. Zusätzlich arbeiten bis zu drei PraktikantInnen in den Projekten, die aus den verschiedenste Gründen hier her kommen, um die Projekte zu unterstützen.
Die ONG Manda unterhält drei Projekte für Straßenkinder. Im Mittelpunkt steht die Sozialstation "Tsiry", in der täglich Straßenkinder duschen, waschen, essen und etwas im Unterricht lernen können. Dazu gibt es ärztliche Versorgung und nachmittags ein Freizeit Angebot. Im Durchschnitt werden 40-50 Kinder am Tag versorgt.
Dann gibt es zwei weiterführende Projekte für Jugendliche. Für Jungen die Holzwerkstatt "Felana" und für
Mädchen die Weberei "Vony". Diese Aufteilung entspricht der madagassischen Tradition. Eine Frau, die zu tischlern lernt, oder ein Mann, der webt, sind nicht vorstellbar. Die Jugendlichen wohnen und arbeiten in den Projekten. So kommen sie von der Straße und haben die Chance nach ihrer Ausbildung einen Einstieg in ein geregeltes Leben zu finden.

3. Besuch der Straßenkinder

Einmal in der Woche gehen MitarbeiterInnen und PraktikantInnen los, um die Kinder auf der Straße zu besuchen. Dieser Termin wurde eingerichtet, um möglichst viele Kinder zu erreichen, damit sie zu "Tsiry", der Sozialstation, kommen. Auch bietet es die Möglichkeit mit den Eltern, meistens den Müttern zu sprechen.
Die Situation der Kinder ist miserabel. Das Leben auf der Straße ist hart. Sie wachsen von klein auf in Verhältnissen hinein, die nicht einmal die Grundbedürfnisse decken können. Unter- oder Mangelernährung, zerrissene Klamotten, keine Schuhe, mangelnde Hygiene, Parasiten, Erfrierungen in kalten Winternächten.
Sie sind als Kinder schon mit allen Wassern gewaschen und stecken voll mit Problemen. Konzentrationsschwächen, Krankheiten, psychische und seelische Störungen. Dabei scheinen sie nach außen, wie ganz normale Kinder. Sie spielen, schreien, toben, lachen, weinen. Wenn man aber hinter die Fassade guckt, wird sichtbar, in welchem Elend sie sich befinden. Aus Erzählungen anderer Praktikantinnen habe ich bereits von fast unglaublichen Erlebnissen erfahren. Von elterlicher Gewalt, von Gewalt ganz allgemein, Prostitution, Gefängnis, bitterlicher Armut, staatlicher Willkür, die ganze Palette.
Die ONG Manda steht mit ihrem Engagement für Straßenkinder in Tana nicht allein da. Es gibt weitere Organisationen, die sich um die Straßen- und Armutskinder in Tana kümmern. Zwischen den Organisationen bestehen Kontakte und es finden Treffen für einen Austausch untereinander statt. Auch auf dem Land gibt es einzelne Projekte.

4. Die Holzwerkstatt Felana

Ich arbeite bei Felana, der Holzwerkstatt für Jungen. Vor meiner Ankunft hier hat gerade die erste Gruppe von Jungen ihre Ausbildung nach zwei Jahren bei Felana abgeschlossen. Für sie wurden Arbeitsplätze gesucht und gefunden, vorzugsweise als Tischler, doch wollten einige lieber in besser bezahlte Berufe einsteigen, wie z.B. Wächter.
Für die Auswahl der neuen Jungs wurde viel Zeit aufgewandt, damit die Jungen auch wirklich aus Interesse am Beruf des Tischlers bei Felana anfangen wollen und nicht, um einfach nur von der Straße zu kommen (was zwar verständlich ist, aber nicht die Aufgabe von Felana).
Die neue Ausbildung begann zur gleichen Zeit meiner Ankunft. Felana besteht aus einem Haus und einer separaten Werkstatt. In dem Haus wohnt Theophile, der Ausbilder, mit seiner Familie im Erdgeschoß. Im ersten Stock ist das Klassenzimmer für den Theorie Unterricht, im Dachgeschoß ist ein Zimmer für die acht Jungs, die jetzt neu bei Felana sind. Der Hof ist staubig, auf ihm stehen auch noch einzelne Überreste eines weiteren Hauses, es gibt kein fließendes Wasser, es wird von einem Brunnen täglich geholt. Eine kleine Küche mit Kohleherd ist in einem Anbau untergebracht, ein Plumpsklo befindet sich in der äußersten Ecke des Grundstückes und verlangt selbst einem anpassungsfähigen Menschen, wie mir, eine ungeheure Überwindung zur Benutzung ab. Bisher hab ich es vermeiden können und "Geschäfte" erfolgreich auf andere Tageszeiten verschoben.
Weitere Personen bei Felana sind Madame Fideline, die Köchin und Monsieur Augustin, der den Frühsport macht und gelegentlich beim Theorie Unterricht aushilft.
Montags bis Freitags gibt es morgens Theorie Unterricht und nachmittags bis 17.00 Uhr Praxis Unterricht. Mittagspause ist von 12.00 bis 14.00 Uhr, was aber nichts zu sagen hat, da die Zeiten sowieso kaum eine Rolle spielen, sie werden selten eingehalten. Von den vorgesehenen vier Stunden Theorie werden, wenn es hoch kommt, zwei gemacht. Das ist aber auch in Ordnung so, da man aufpassen muß, daß die Jungs nicht überfordert werden. Sie verlieren schnell ihre Motivation und setzen sich ohne zu zögern zurück auf die Straße ab. Aber manchmal scheint mir mehr Unterricht genauso angebracht, da einige Jungs sehr intelligent sind und mehr lernen wollen. Die Intelligenz der Jungs ist sehr unterschiedlich. Das macht den Theorie Unterricht kompliziert. Denn während die einen überfordert werden könnten, schlafen die anderen vor Langeweile ein.
Im großen und ganzen nehmen die Jungs das alles aber ziemlich gelassen hin. Sie scheinen sehr zufrieden zu sein mit ihrer Situation. Deshalb beklagen sie sich auch nicht. Ihre anfängliche Schüchternheit auf Grund der neuen Situation haben sie abgelegt. Sie haben sich eingelebt und schon etwas an ihr neues Leben gewöhnt.
Ihr soziales Verhalten hat mich sehr verwundert, da sie fair und solidarisch miteinander umgehen. Ich hätte wesentlich mehr Streitigkeiten und Egoismus erwartet. Aber es läuft bisher genauso, wie in jeder anderen Gruppe auch, mit normalen Machtkämpfe um Positionen, die aber nicht brutal oder anders ablaufen, als ich bisher in meiner Tätigkeit als Jugendgruppenleiter in Deutschland gesehen habe.
Ich bin mir aber auch sicher, daß ich nicht wirklich alles mitbekomme, was innerhalb der Gruppe abgeht. Ich weiß aus Berichten, daß sie viel unter sich ausmachen, ohne daß Außenstehende etwas mitbekommen und schon gar nicht ein Vazaha (Weißer), wie ich. Ich bekomme nur vollendete Tatsachen zu sehen, wenn plötzlich einer mehr zu sagen hat, als der andere. Ich bin ja auch nur ein drittel des Tages mit ihnen zusammen, bei dem ich mitbekommen könnte, was passiert. Aber selbst während dieser Zeit passieren Dinge, die ich nicht wirklich mitbekomme. Dafür ist die Sprachbarriere zu groß.

5. Sprachbarriere

Mein größtes Problem bei der Arbeit ist eigentlich die Sprachbarriere. Dadurch, daß ich mich nicht richtig mit den Kindern und teilweise auch mit den Angestellten verständigen kann, ist meine Arbeit auch nicht so gut, wie sie sein könnte, wenn es dieses Problem nicht gäbe. Meine pädagogischen Fähigkeiten basieren zum größten Teil auf Sprache. Ich habe momentan praktisch kaum Einfluß auf die Jungs.
Die Kinder sprechen kaum französisch, verstehen höchstens ein bißchen. Ich wiederum spreche kaum malagasy, nur das bißchen, was ich bisher gelernt habe. Das ist aber keine Grundlage, um irgendwie pädagogische Ansätze zu verfolgen. Meine bisherige Position ist eine reine Beobachterrolle gegenüber den Jungs. Wenn ich ihnen etwas sage, was sie machen sollen, könnten sie genauso gut ablehnen. Ich hätte keine Autorität ihnen gegenüber. Das machen sie aber nicht. Sie akzeptieren, was ich sage, haben auch großes Interesse an mir und wollen den Kontakt mit mir. Ich versuche ihnen zu zeigen, daß ich sie so akzeptiere wie sie sind.
Ich habe mir vorgenommen malagasy zumindest so weit zu lernen, daß ich mich einigermaßen mit den Jungs verständigen kann. Da die Sprache nicht so komplex ist, müßte das auch zu schaffen sein.

6. Theorie und Praxis Unterricht

Für Erklärungen wird sich viel Zeit genommen. Überhaupt läuft alles sehr madagassisch ab, "mora mora" eben. Es wird sich keine Zacke aus der Krone gebrochen, um irgendeinen Zeitplan oder den "Lehrplan" einzuhalten. Beides ist nur ein Leitfaden. Theoriefächer sind Rechnen, Malagasy, Französisch, Aufklärung, Verhaltensunterricht und natürlich die Fachkunde der Tischlerei.
Die Aufklärung wird von der Ärztin in der Sozialstation "Tsiry" einmal wöchentlich abgehalten. Die Jungs sollen lernen, was Hygiene, Sexualität und Pubertät bedeuten. Sie verhalten sich beim Unterricht genauso, wie sich deutsche Jugendliche verhalten. Es ist ihnen peinlich, sie lachen und machen Witze, sind aber interessiert und hören zu.
Der Verhaltensunterricht wird ihnen von der Direktorin der ONG Manda, Madame Miarintsoa gegeben. Die Jungs sollen lernen, was es heißt in einer Gruppe zu leben, wie sie sich im öffentlichen Leben und gegenüber Frauen verhalten sollen. Auch bei diesem Unterricht sind sie interessiert dabei. Es scheint, als würden sie die Informationen nur so aufsaugen, über ihrer Umsetzung habe ich leider keinen Überblick, mir scheint aber nicht, als würde sich in der Praxis viel auf die Schnelle geändert haben. Das wäre auch eine zu große Erwartung. Schließlich wird sich innerhalb von vier Wochen nicht ändern, was sich in Jahren verfestigt hat. Das wird lange dauern, schätze ich.
Rechnen, Malagasy und Fachkunde wird von Theophile unterrichtet, oder gelegentlich auch von Monsieur Augustin, wenn Theophile Besorgungen machen muß. Alles ist sehr einfach gehalten, die Jungs fangen ganz von null an. Schreiben und Grundrechnen haben sie bei Tsiry gelernt. Alles andere muß erst noch aufgebaut werden.
Der französisch Unterricht wird von mir einmal pro Woche gegeben. Das ist eine ziemlich große Herausforderung, denn schließlich spreche ich ja selbst nicht mal fließend französisch. Bisher habe ich meine Stunden aber gut ausfüllen können und vom Niveau her noch keine Probleme. Ich weiß aber nicht, ob ich das die ganzen zwölf Wochen durchziehen kann. Für mich hat es den Vorteil, daß ich dadurch meine Sprachkenntnisse schon erheblich ausgebessert habe, schließlich erfordern die Stunden eine gute Vorbereitung.
Im Praxis Unterricht nimmt sich Theophile genauso viel Zeit für Erklärungen, wie im Theorie Unterricht. Er ist ein ruhiger, engagierter Mann, der seine Autorität gegenüber den Jungs dadurch gewinnt, daß er sie ernst nimmt, ihnen etwas beibringen möchte, aber im Bedarfsfall auch Grenzen zieht. Im Praxis Unterricht müssen die Jungs abwechselnd Aufgaben erledigen, aber selten alle zusammen. Ich weiß nicht, ob es gut wäre mehr Disziplin einzufordern und die Jungs vor mehr Aufgaben zu stellen, denn sie verbringen viel Zeit mit Herumsitzen und Herumspielen in der Werkstatt. Vielleicht ist es aber auch genau richtig so. Das kann ich schwer abschätzen. Ich denke, Theophile wird da schon das richtige Händchen haben.
Wenn ich in der Holzwerkstatt bin versuche ich Theophile bei seiner Arbeit zu unterstützen. Das ist nicht ganz leicht, da er von sich aus nicht viel sagt, ich es aber auch nicht gewohnt bin von mir aus nach der Arbeit zu fragen und ihm ständig etwas aus der Nase ziehen zu müssen. Dabei ist im Grundsatz sein Verhalten schon richtig. Schließlich ist es so meine Entscheidung, wenn ich was helfen will. Ansonsten kann ich einfach auch nur mit den Jungs Herumsitzen und zu gucken bei der Arbeit. Das finde ich aber nicht befriedigend, schließlich bin ich hier her gekommen, um etwas zu tun und nicht nur zu beobachten. Inzwischen hat sich aber eine gute Aufgabe für mich herausgestellt, die mir gerade den Nachmittag wesentlich angenehmer macht, weil ich selbständig planen und arbeiten muß.
Dazu mehr im Punkt 8.

7. Sonstiges Programm

Damit die Jungs nicht auf dumme Ideen kommen und allzu viel Zeit in Analakely, dem Stadtzentrum, auf der Straße verbringen, haben sie ein fast durchgängiges Programm. Morgens gehts schon sehr früh mit Sport los, danach duschen und Frühstück. In wie weit da die Zeiten eingehalten werden weiß ich nicht. Um acht Uhr soll dann der Theorieunterricht losgehen. Bis nachmittags um 17.00 Uhr läuft die Praxis. Am Samstag ist den ganzen Morgen Sport angesagt und nachmittags Zeit für eine Exkursion.
Eine solche habe ich in den vier Wochen bisher nur einmal gemacht (Siehe 1.Exkursion), da dem Projekt die Finanzen für wöchentliche Exkursionen fehlen. So habe ich die Wochenenden für private Ausflüge gemeinsam mit den beiden anderen Praktikantinnen genutzt.
Am Sonntag Morgen ist wieder Sport angesagt und danach Kirche. Der Sonntagnachmittag ist frei. Nach Lehrplan der einzige freie Nachmittag.

8. Meine derzeitige Hauptaufgabe

Zur Zeit wohne ich in einer Wohnung. Diese Wohnung ist aber teuer, für madagassische Verhältnisse sogar sehr teuer. Das Geld, monatlich 300 DM, wäre wesentlich besser im Projekt investiert. Wir wohnen zwar zu zweit in der Wohnung, aber das ist immer noch zuviel Geld nur für die Wohnung der Praktikanten.
Deshalb haben wir überlegt das Haus von "Tsiry", das ja auch die "Zentrale" der ONG Manda ist, weiter auszubauen, bzw. umzubauen, so daß alle PraktikantInnen dort wohnen können. Bisher ist dort nur Platz für einen Praktikanten. Grundsätzlich soll es pro Projekt ein Praktikant geben, also insgesamt drei.
Der Platz ist jedenfalls noch vorhanden, wenn auch nicht viel.
Das Haus ist im Erdgeschoss in Unterrichtsraum, Krankenzimmer und Küchenbereich aufgeteilt. Der erste Stock besteht aus einem Büro, einem größeren Besprechungsraum, einer weiteren Küche und dem Zimmer für einen Praktikanten. Im Hof sind die sanitären Anlagen für die Straßenkinder, eine Garage, in der die Wächter nächtigen und ein bißchen Werkzeug lagert, sowie einer alten Waschküche, die nicht benutzt wird.
Ich habe die Freiheit den Ausbau zu planen und habe schon einige Nachmittage mit den Jungs bei Tsiry für den Ausbau verbracht. Für sie ist es auch interessant, da sie so gleich praktische Erfahrungen sammeln können. Die meisten sind auch mit Interesse und Engagement dabei. Wir bauen gerade die ungenutzte Waschküche im Hof in ein bewohnbares Zimmer um.
Es hat sich herausgestellt, daß sich am Besten mit drei Jungs arbeiten läßt. So ist die Gruppe nicht zu klein, aber sie stehen sich auch nicht die Beine in den Bauch, weil es nicht genug Arbeit für alle gibt. Jeden Tag kommen andere Jungs mit zu Tsiry, das ungefähr 20 Minuten Fußweg von Felana entfernt liegt.
Für mich ist es nicht ganz einfach Jungs anzuleiten, die eine andere Sprache sprechen. Es ist auch nicht leicht für mich die Arbeit an sie abzugeben und sie nur anzuleiten. Denn sie machen verständlicherweise nicht immer alles richtig und auch nicht so gut, wie ich es machen könnte. Ich muß also immer ein wachsames Auge drauf werfen, was sie gerade tun, ob sie es richtig machen, dabei noch überlegen, was als nächstes zu tun ist, ob wir Material und Werkzeuge haben und ob es mit der Zeit gut hinkommt. Nach so einem Nachmittag bin ich manchmal schon ziemlich geschafft. Zu Anfang hatte ich einen Nachmittag mit fünf Jungs. Das war ein ziemliches Chaos, denn es ging drunter und drüber und ich mußte sehen, daß alles noch irgendwie klar geht.
Dazu kommt nämlich auch noch, daß am Nachmittag die Straßenkinder bei Tsiry im Hof spielen und herumlaufen. Also muß ich nebenbei auch noch ein Auge auf das Material und das Werkzeug haben, damit es nicht wegkommt. Straßenkinder sind es nämlich gewöhnt Dinge mitzunehmen, auf die keiner aufpaßt.
Während ich also bei Tsiry arbeite macht Theophile unterdessen in der Holzwerkstatt mit den anderen Jungs den Praxisunterricht weiter.

9. Eingewöhnungsphase

Die ersten vier Wochen hatte ich "offiziell" als Eingewöhnungsphase. Zumindest wurde mir das in Deutschland so gesagt. Hier angekommen, hatte ich eher das Gefühl, daß man von mir gleich volles Programm erwartete. Nicht, weil meine Arbeitskraft so dringend benötigt wurde, sondern weil "die Deutschen" wohl so sind. Vielleicht war das auch einfach nur eine persönliche Täuschung. Ich habe es aber so erlebt. Mir war auch schon von meinem ersten Besuch auf Madagaskar bekannt, daß wir Deutschen als sehr strebsam, arbeitswütig und humorlos gelten. Und alle Mercedes fahren. Soweit zu Vorurteilen.
Noch in Deutschland habe ich gedacht, daß vier Wochen eine lange Zeit sind um sich einzugewöhnen, zumal ich die madagassichen Verhältnisse ja schon einmal erlebt hatte. Doch ich muß sagen, daß sie alle mal angebracht sind. Ich mußte erst mal meinen Platz hier finden, mich an die einheimische Arbeitswelt gewöhnen.
Durch den Beginn mit dem Ausbau habe ich das Gefühl eine Aufgabe zu haben und ich habe auch die Sicherheit, daß ich etwas sinnvolles und bleibendes schaffen werde. Ich werde durch diese Aufgabe noch viel lernen, vor allen Dingen über die madagassischen Verhältnisse in der Materialbeschaffung und den Werkzeugen, die mir noch völlig unverständlich sind. Ich bin ständig auf Hilfe angewiesen, was sich hoffentlich irgendwann ändern wird, so daß ich wenigstens etwas selbständig arbeiten kann.
Die Eingewöhnungsphase ist vorbei, ich kann jetzt mit der eigentlichen Arbeit loslegen und das würde ich am liebsten auch richtig. Aber ich darf ja nicht vergessen, daß ich in Madagaskar bin und mich den Verhältnissen hier anpassen will. Und das heißt nun mal: mora mora!
Wenn ich den deutschen Maßstab nehmen würde, hätte ich hier bisher nichts, wirklich gar nichts geschafft und würde auch in der nächsten Zeit nicht viel schaffen. Den Maßstab habe ich aber schon zum Teil abgelegt und ich werde in Zukunft versuchen ausschließlich den madagassischen anzuwenden.

10. Werkzeuge und Material

Ich habe schon ein paar Worte über die Verhältnisse hier fallen lassen. Zu Anfang habe ich die Hände über den Kopf geschlagen und gedacht, daß ich hier ja gar nichts machen kann bei diesen Zuständen. Das Werkzeug stellt eine echte Herausforderung da. So begreife ich es inzwischen auch: das Beste aus dem machen, was zur Verfügung steht. Und zum Glück: in Madagaskar wird ja alles nicht so genau genommen. In Deutschland hätte ich unter diesen Umständen keine Chance. Ich weiß nur noch nicht, ob alles nicht so genau genommen wird, weil es nicht die Mittel dazu gibt, oder ob es die Mittel nicht gibt, weil alles nicht so genau genommen wird. Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei?
Die Materialbeschaffung erscheint mir momentan noch genauso abenteuerlich. Für ein paar Schrauben sind wir einen Tag lang durch die halbe Stadt gefahren und haben sämtliche Läden durchforstet. Letztendlich haben wir sie auf einem Markt bekommen. So ein Aufwand wegen ein paar Schrauben! Im "Baumarkt" um die Ecke hatte ich gefragt, doch da bekommt man höchstens Zement und einen Lichtschalter. Baumärkte haben hier auch nur die Größe eines kleinen Eisenwarenhandels in Deutschland. Der richtige "Baumarkt" ist ein wirklicher Markt, mit Ständen und viel Rummel. Man muß Preise erfragen und handeln. Als Vazaha (Weißer) habe ich dabei eine sehr schlechte Ausgangslage, denn man erwartet von mir, daß ich viel Geld habe (In Madagaskar sind alle Weißen reich). Da es aber nicht mein Geld ist, von dem ich Material kaufe, sondern das von Felana, versuche ich durch mein bißchen malagasy zu bestechen und mit der Erklärung wofür das Material ist. Ob es wirklich was hilft, weiß ich noch nicht genau. Mein erster Einkauf war preislich gesehen gar nicht so schlecht, glaube ich.
Die Ausstattung von Felana besteht zur Hauptsache aus einer einzigen Maschine, die zugleich die Funktion von drei Maschinen erfüllt. Abrichte, Dickenhobel und Fräse. Für jede Funktion muß sie zeitaufwendig umgerüstet werden. Eine Absaugung für die Späne gibt es nicht, sie fliegen bei der Arbeit lustig durch die Gegend. Als ich das erste mal zugeschaut habe, hätte ich fast gelacht, weil es mir so unmöglich vorkam. Es lag bisher außerhalb meiner Vorstellungskraft, daß es möglich ist, so zu arbeiten. Die Messerwelle läuft frei ohne jegliche Schutzvorrichtung, es gibt keinen Lärmschutz, keine Schutzbrillen, bei der Arbeit kommen die Jungs gefährlich nahe mit Händen (und Füßen!) an die Messerwelle heran. Wenn hier ein Unfall geschieht, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Folgen für das Opfer haben.
Der Umgang mit der Maschine unterscheidet sich auch sehr stark mit dem in Deutschland. Es wird damit grob gearbeitet, nicht sonderlich auf die Feinheiten geachtet. Auch das Arbeitsumfeld ist anders. Die Werkstatt ist nach deutschen Maßstab ein Schlachtfeld. Alles liegt kunterbunt durcheinander. Überall die Späne, es wird selten ausgefegt, hin und wieder kommt eine Frau vorbei und holt den Großteil der Späne ab, den sie in Säcke zusammenrafft. Das Holz liegt da, wo es fallen gelassen oder hingelegt wurde. Das Werkzeug liegt dazwischen, wenn es aus der Kiste, in der es sonst durcheinander liegt, rausgenommen wurde. Es befindet sich in keinem guten Zustand. Bessere Werkzeuge bewahrt Theophile bei sich in der Wohnung auf.
Sollte es in der Werkstatt zu eng werden wird der Praxis Unterricht halt kurzer Hand nach draußen verlegt. In Sachen Arbeitssicherheit und Arbeitsorganisation könnte ich hier noch einiges vorschlagen. Das kann und will ich aber lieber in Angriff nehmen, wenn ich mich besser auskenne und den Ausbau geschafft habe. Auch wäre zu prüfen, ob und wenn, was an Bedarf an neuen oder zusätzlichen Werkzeugen besteht.

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